Mondmann

Stell dir vor auf dem Mond zu stehen.
Du siehst die Erde, die aufhörte unter deinen Füßen zu drehen,
umgeben von einer Million Sterne in einem stillen schwarzen Meer.

Du hörst keine Worte der Menschen mehr,
die in den Momenten der Wahrheit ihre Stimme verlieren
und ihr Gesicht hinter einer Maske zeigen.

Du hörst keinen Lärm der Fabriken,
die schwarze Wolken ausstoßen,
als ob sie (uns unsere) Luft zum Atmen geben.

Weder die Geräusche der Motoren von Flugzeugen und Autos,
die um die Welt jagen und ihr Ziel nie erreichen,
noch das Singen der Vögel, als ob es aufhörte zu existieren,
und das Summen der Bienen, als ob es nie existiert hätte.

Du hörst nur deinen eigenen wiederkehrenden Atem
und du weißt, dass du am Leben bist, ohne zu wissen, wofür du atmest
und wie du es tust, in einem luftleeren Raum,
an einem Ort, an dem du glaubtest, dass er keinen Sauerstoff für dich trägt.

Stell dir die Welt ganz genau vor, das Grün und das Blau,
die wie irreale Farben aus einem kosmischen Tuschkasten wirken,
mit ihren Nimbus- und Schäfchenwolken.

Beobachte den Indischen Ozean und seine Wellen
auf denen Piraten, die einst Fischer waren,
mit Maschinenpistolen ein Schiff versuchen zu kapern
und aus dem Hinterhalt von Kanonen, einer vergangenen Zeit, beschossen werden,
als Holzschiffe über die Meere fuhren und nur mit Gold gefüllte Truhen im Meer versanken,
die sich nicht wie ein schwarzer Teppich ausbreiten konnten
und alles Leben wie ein schwarzes Loch verschlucken.

Und die Chinesische Mauer,
die aus dem Weltall eigentlich unsichtbar ist,
doch nicht mit deinem Blick vom Mond.
In Jahrhunderten gebaut mit Weisheit, Widmung, Blut, Schweiß und Tränen
und dem Leben von mehreren Millionen Chinesen.
Wie eine Schlange zieht sie sich entlang,
die von Mongolen in der Größe einer Ameise bestiegen wird,
damit die Mongolen nicht Millionen unschuldiger Chinesen töten.

Du siehst die Kriege in Europa von Königen und Faschisten,
in Indien von den Besatzern der englischen Krone,
in Persien von Sultanen und religiösen Fanatikern,
in Griechenland von Alexander dem Großen,
selbst zu Zeiten der großen Dichter und Philosophen,
und in Vietnam gegen ein politisches System,
in einem Krieg, dem Millionen unschuldige Bauern, Frauen und Kinder zum Opfer fielen.

Du siehst die Kriege in der heutigen Zeit,
die so blutig sind wie die Wände in Schlachthäusern.
Du siehst die Ausbeutung unserer Natur und unserer Mitmenschen
als ob sie nur leblose Laiendarsteller unseres persönlichen Theaterstücks wären
und unsere Welt eine Bühne, die wir jederzeit verlassen könnten.

Wir denken an uns, statt ans große Ganze zu denken,
und bauen lieber Burgen und Zäune,
statt Brunnen und Straßen,
selbst in unserem eigenen Land, das so zerklüftet ist
wie ein verdorrter Trabant, Jahr für Jahr verirrt auf der gleichen Bahn ums Paradies kreisend.

Doch vom Mond sehen wir es so klar.
Wir sehen die Menschheitsgeschichte in diesem einen Bild vor unseren Augen ablaufen,
das mit blutigem Stift und der Tinte der Wahrheit gezeichnet ist.
Der Moment, in dem unsere Welt stillzustehen scheint,
lässt uns sehen, dass nur wir uns immer und immer wieder im Kreise drehen
und nicht die Welt, die wir unsere Heimat nennen.

Seit Anbeginn der Zeit blieb das Innerste des Menschen gleich.
Wir schwangen uns in die Luft ohne fliegen zu lernen
und trauten uns unter Wasser, ohne unseren Atem anhalten zu müssen.
Wir konnten die Fortschritte in der Technik und Medizin beobachten
und verfassten längere Gesetzestexte,
die uns die Illusion und das Gefühl von Entwicklung gaben.
Doch in uns steckt noch immer dasselbe blutige Biest mit blinder Gier,
das seinen beschränkten Geist in Millionen zersplitterten Gruppen zu verstecken versucht,
mit derselben frühzeitlichen Angst und dieser erschreckend kleinkarierten Ignoranz,
die wir glauben im schwarzen Mittelalter, das gar nicht so schwarz war,
oder im letzten Jahrhundert hinter uns gelassen zu haben.

Doch über 200.000 Meilen entfernt verliert alles,
mit Blick vom Mond,
von wo aus alles so klein aussieht,
was für uns so groß erschien,
das Leben auf der Erde, das wir kennen,
und seine Geschichte gänzlich an Bedeutung.
Die Gedanken, die uns täglich umgehen,
selbst die ans Älter werden und Sterben,
verschwinden wie eine Fata Morgana in einer Wüste,
die in einem ausgehungerten Geist und einer traurigen Seele eingesperrt liegt.

Wenn alles ausweglos erscheint,
gibt es nur den einen Gedanken,
wie in der Stunde unseres Todes,
der uns eine neue Perspektive
für diesen einen Moment schenkt.

Nur ein einziger Gedanke taucht auf,
der so einfach ist zu vergessen,
der an die Menschen, die wir glauben zu lieben.

Doch wo ist die Liebe für die Gnus und Elefanten,
die durch die afrikanische Steppe ziehen,
und die Giraffen, die wie Fabelwesen aussehen.
Für die rosa Schweine,
die wie Hunde um die Wette tollen,
und die Kühe, die sich wie unsere Mütter um uns, um ihre Kälbchen sorgen.
Für die Flamingos, die unsere Erde pink punkten,
und die Würmer und Bakterien, die unsere Erde fruchtbar erhalten.
Für die Schmetterlinge, die wie aus unseren Träumen erschaffen anmuten,
und die Bienen und Hummeln, die für uns unentbehrlich sind.

Wo ist die Liebe für die blauen Bächchen und die Seen, die unser kostbarstes Wasser tragen.
Für unsere Böden, denen wir jede Frucht und jeden Halm zu verdanken haben.
Wir sehen, wofür wir Dankbarkeit empfinden und unsere Kraft und unsere Liebe verwenden sollten, die zu einem Ozean wachsen kann.
Doch wir sehen es nur, wenn wir die Relativität verstanden haben.
Dann ist ein Tropfen ein Meer und ein Meer ein Haufen Tropfen
und Liebe im kleinsten Maß das Größte, was diese Welt zu bieten hat,
fürs Größte und selbst fürs winzig Kleinste.

Wenn wir verstanden haben,
dass unser Leben jeden Moment vorbei sein könnte,
wird es lebenswert und wir würden es nicht mit im Kreise drehen verschwenden,
doch das können wir nur, wenn wir lernen,
für den Tropfen so dankbar zu sein wie für den den Haufen Tropfen
und ihn nicht in unseren Händen versuchen zu halten,
stattdessen lernen würden unsere Welt in Liebe zusammenzuhalten.
Ansonsten wird sie früher oder später unter unseren Füßen zerbrechen
und uns mit gebrochenem Herzen vernichten.

Wenn wir verstanden haben, dass wir nicht das Weltall bereisen
und nach neuen Galaxien suchen müssen,
um unser Zuhause zu finden, können wir anfangen,
uns endlich um unser Zuhause zu kümmern.

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